Es war der 12. August 2015, frühmorgens in der Stadt Sapporo, auf der Insel Hokkaido, ganz im Norden von Japan: was für eine Wohltat! Nach über drei Monaten in heissen Ländern – ich spreche von der feucht-klebrigen Hitze – war für mich das Klima in Sapporo mit seinen angenehmen 28° Grad und keiner spürbaren Luftfeuchtigkeit einfach nur perfekt. Wie toll ist das denn, ich konnte ein T-Shirt zwei Tage lang tragen, ich schwitzte nämlich nur, wenn ich mich selber durch die Strassen von Sapporo hetzte (was ich natürlich nicht machte) oder ich mich in der prallen Sonne eine Treppe hochquälte (was durchaus vorkam). Ich buchte ursprünglich drei Nächte in einem mini Hostel mit nur einem 4-er Schlafsaal (wo ich die ganze Zeit alleine war), aber Sapporo gefiel mir so gut, dass ich ganze fünf Nächte in dieser tollen Stadt verbrachte. Ich liebe Sapporo nicht nur wegen den für mich gewohnten Temperaturen, hier stimmt einfach alles: die Strassen und Gassen sind sauber, es stinkt nicht, es liegt kein Müll herum, alles ist durchdacht und funktioniert wie es soll, die Menschen sind super freundlich, das Essen schmeckt hervorragend, die öffentlichen Verkehrsmittel sind überpünktlich, die Taxifahrer veräppeln mich nicht (sind aber wie in der Schweiz ziemlich teuer) und das Verkaufs- und Servicepersonal ist derart aufmerksam, dass ich mich in jedem Geschäft wie ein Stammkunde fühle.
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich mich mein Leben lang irrte: ich träumte immer davon, in einem Land zu leben, wo andauernd Sommer herrscht, ich immer in Shorts, T-Shirt und Flip Flops rumrennen kann und der Strand gleich um die Ecke liegt. Hach, wie falsch ich doch lag, ich bin durch und durch ein Kind der gemässigten Temperaturen und ich liebe die vier Jahreszeiten mit all seinen Widrigkeiten und Vorzügen. Klar, die vergangenen drei Monate in sehr heissen Gegenden waren genial, aber “nur” Hitze ist auf Dauer eintönig, ich mag echt nicht jeden Tag wie verrückt schwitzen und ich vermisse die Berge! Das mit den Bergen wurde mir so richtig bewusst, als ich Furano besuchte, dazu später mehr.
In Sapporo ass ich zum ersten Mal richtig frisches japanisches Essen wie bestes Sushi, uni (sea urchin / Seeigel) und Ramen, trank das vorzügliche lokale Bier Sapporo Classic, besuchte mit neuen Freunden eine Karaoke Bar und lernte die Quelle der Spielsucht der Japaner kennen: Pachinko. Ich versuchte durch Beobachten dieses durchgeknallte Spiel zu erlernen, aber nach maximal 15 Minuten in einem Pachinko Saal war ich durch den hypernervösen Dauerlärm und dem epileptischen Geblinke einem Nervenzusammenbruch so nahe, dass ich jeweils aufgab und schnellst möglich einen ruhigeren Ort aufsuchte. Echt krass, diesen vor allem akustischen Wahnsinn muss man live gesehen haben! Während einem Tagesausflug besuchte ich die nahe gelegene Küstenstadt Otaru, wo ich super frischen Seafood und ein paar Bierspezialitäten der lokalen Mikrobrauereie Otaru Beer genoss. Viele Bierhersteller in Japan nehmen sich deutsches Bier als Vorbild, was man an den Namen der Biersorten und den Bierhallen erkennen kann, I like that!
Am 17. August 2015 bestieg ich den Zug nach Wakkanai, eine kleine Stadt ganz im Norden von Hokkaido. Dort waren die Temperaturen derart frisch, dass ich das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder lange Hosen und einen Pullover tragen musste; aber ich liebte es! Ich besuchte unter anderem den nördlichsten Punkt Japans, wo ein dreieckiges Denkmal sowie zig weitere Gedenksteine und ein paar Souvenirshops die meist japanischen Touristen an diesem ehrwürdigen Ort begrüssen. In einer Eishalle konnte ich Treibeis vom letzten Winter bestaunen, bei sau kalten minus 12.6 Grad!
Westlich von Wakkainai besuchte ich die Insel Rishiri, bekannt für den gleichnamigen Vulkan, welcher aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Japans berühmtesten Berg den Spitznamen Rishirifuji trägt. Leider war das Wetter alles andere als freundlich, so konnte ich die im Nebel verborgene Spitze des Vulkans nicht erkennen. Trotz starkem Wind und Regen mietete ich ein Fahrrad und unternahm eine kleine Rundfahrt im Norden der Insel. Es war kalt, nass und wegen dem Wind ziemlich mühsam, aber ich wurde mit ein paar eindrücklichen Ausblicken auf die Küste belohnt, ausserdem überfuhr ich bei einer halbwegs steilen Abfahrt mit hoher Geschwindigkeit fast einen Adler, welcher auf dem Fahrradweg irgendein kleines Tier zerlegte! Zum ersten (und nicht letzten) Mal nächtigte ich in einem typischen japanischen Guesthouse mit nur Japanese-style rooms. Das bedeutet: they don’t speak any english, Tatami Matten mit Fouton, Gemeinschaftsbad – wo man sich sitzend auf einem kleinen Plastikhocker duscht – und Etagen-WC. Ein Grossteil der japanischen Gäste rauchte praktisch ununterbrochen auf dem Gang, also immer schön Türe zu, sonst stinkt’s wie in einer japanischen Bar, wo Rauchverbot ein unbekanntes Wort ist!
Nach einigen Gesprächen mit anderen ausländischen Touristen in Sapporo und Wakkanai wurde mir bewusst, dass Hokkaido ohne Mietauto nur beschränkt oder sehr zeitaufwändig bereist werden kann. Also entschloss ich mich, zurück nach Sapporo zu fahren um meinen Führerschein übersetzen zu lassen. Der in der Schweiz erhältliche “Internationale Führerschein” – den ich vor meiner Abreise organisierte und noch nie vorweisen musste – wird in Japan nämlich nicht akzeptiert. Also zurück nach Sapporo, meiner bisherigen Lieblingsstadt in Japan, wo ich bei der JAF (Japan Automobile Foundation) meinen Führerschein ohne Voranmeldung innert 20 Minuten Wartezeit übersetzen lassen konnte, hach, ich liebe die japanische Effizienz!
Am 24. August 2015 nahm ich meinen Mietwagen entgegen, einen Toyota Passo, klein, fein und mit 990cc gefühlt extrem untermotorisiert, aber dafür mit einem sehr sparsamen Benzinverbrauch von knapp 5 L/100km. In Japan herrscht Linksverkehr, aber das bin ich bereits von Sri Lanka her gewohnt, wo ich mit dem Auto von Sara diverse Male herumgekurvt bin. Ich fuhr über kleine Strassen und durch eine schöne, der Schweiz ziemlich ähnliche, grüne Landschaft nach Furano, berühmt für seine farbenprächtigen Blumen- und Lavendelfelder im Sommer sowie ein bekannter Sportort im Winter. In der Furano Cheese Factory lernte ich die Weltenbummlerin Amaëlle aus Frankreich kennen; sie ist seit 5 Jahren am Reisen, zwar immer wieder mit Unterbrüchen, während denen sie kurz in Frankreich arbeitet, aber Hut ab! Wir kosteten den dort hergestellten Camembert, darunter ein mit Tintenfischtinte schwarz gefärbter Käse – sie schmeckten gar nicht mal so schlecht, aber selbstverständlich kein Vergleich zum Französischen Original – und in der Furano Winery degustierten wir den lokalen Wein: den Roten kann man vergessen, aber der Weisswein “Ciel” war sehr gut. Am nächsten Tag wanderten wir in der näheren Umgebung beim Furano-dake (1912 m) umher, die Berglandschaft ist – bis auf die allgegenwärtigen Vulkane – sehr ähnlich wie diejenige in der Schweiz. Mir wurde so richtig warm ums Herz, hach, wie habe ich eine schöne Berglandschaft vermisst!
Nach zwei Nächten fuhr ich weiter nach Osten und machte einen Zwischenhalt im Bear Mountain Park, wo ich in einem Mad Max mässig gepanzerten Bus diverse Braunbären aus nächster Nähe beobachten konnte. In der Parkanlage fuhren ungefähr fünf Jeeps rum, was mich zuerst verwunderte, ich dann aber schnell begriff, dass die Parkwächter die Bären mit Fressalien zu den Hotspots locken wo der Bus entlang fährt. So ist eine Begegnung mit den teils echt riesigen Tieren garantiert. Beim sogenannten Bear Point, wo eine dicke Glasscheibe die neugierigen Touristen von einem Braunbär im Wasser trennt, fütterte ein Angestellter von oben den Bären, damit dieser schön Männchen machte und somit ein perfektes Fotomotiv abgab. Alles sehr touristisch, aber die Rundfahrt war ein witziges Erlebnis und die Informationen von den Angestellten äusserst interessant. Nach diesem inszenierten Nervenkitzel fuhr ich weiter bis nach Teshikaga beim Akan National Park, eine attraktive Gegend mit drei hübschen Seen, umgeben von diversen Vulkanen. Am nächsten Tag wanderte ich beim Mashu-ko auf den Mashu-dake, eine knapp 5 stündige Wanderung durch dichte Vegetation mit etlichen Singzikaden, die wirklich extrem laute “Gesänge” produzieren, teilweise knapp an der Grenze zum Erträglichen! Nach der Wanderung besuchte ich ein Onsen, das heisse Wasser war super entspannend, eine verdiente Wohltat!
Am 28. August 2015 fuhr ich auf dem teuren Expressway (Autobahn) Richtung Westen bis nach Toyako Onsen, eine kleine Stadt direkt am See, international bekannt für den G8-Gipfel im Jahr 2008 und den Vulkanausbruch im Jahr 2000. Ich besuchte das informative Vulkanmuseum, besichtigte die Trümmer und Krater der letzten Eruption im Jahr 2000 und fuhr mit der Seilbahn auf den Mount Usu, wo ich eine kleine Wanderung um den aktiven (!) Krater unternahm, aufsteigende Dampfwolken erinnern daran, dass der Vulkan schlummert, ein erneuter Ausbruch ist vorprogrammiert, man rechnet ca. alle 30 bis 50 Jahre damit. Ich verspürte schon ein etwas mulmiges Gefühl, als ich halb im Krater stand und mir die ungeheure Kraft einer Eruption vorstellte! Vor meinem Hotel, direkt am See, gibt es ein öffentliches Fuss Onsen, ein überdachter kleiner Pool mit Sitzgelegenheiten, wo man die Füsse in heissem Quellwasser baden kann. Dort traf ich auf drei Deutsche Touristen, und nach dem gemeinsamen Abendessen kauften wir ein paar Dosen Bier und kehrten zurück zum Fuss Onsen, wo wir eine Gruppe von quirligen Japanerinnen kennen lernten, trotz sprachlichen Schwierigkeiten lachten wir viel, ein toller Abend.
In Hakodate verbrachte ich meine letzte Nacht auf Hokkaido, bevor ich am 31. August 2015 mit dem Zug durch den Seikan Tunnel nach Aomori auf Honshu fuhr. Gemäss Lonely Planet ist der Seikan Tunnel der tiefste und längste Unterwassertunnel der Welt! Die Durchfahrt fühlte sich trotz diesen Superlativen aber nicht anders an als jede andere Fahrt durch irgendeinen beliebigen Tunnel 🙂 Der Hafen von Hakodate war einer der ersten in Japan, der sich im Jahr 1854 dem internationalem Handel öffnete, und der Einfluss von den ausländischen Händlern die hier ansiedelten ist in der Stadt nach wie vor an Gebäuden und Kirchen gut erkennbar. Mir wurde bewusst, dass ich schon lange keine Kirche mehr gesehen hatte, nicht dass ich sie vermisst hätte, aber eine interessante Erkenntnis, nach all den Tempeln und Schreinen der vergangenen Wochen.
Jetzt bin ich seit einer über einer Woche in Tokyo, eine Wahnsinnsstadt, dazu später mehr.
Lieber Michi
Es ist immer schön von Dir zu lesen und die Bilder zu bestaunen. Es freut mich, dass es Dir gut geht und schon in Japan angekommen bist!
Wir, Emi und ich werden vom 6. bis 18. Oktober in Tokio sein. Leider aus einem traurigen Anlass, Emis Mutter ist verstorben. Die Urnenbeisetzung wird am 9./10.10.15 in Kamakura (Tokio) stattfinden.
Falls Du etwas aus der Schweiz brauchst, können wir Dir es per Luftfracht bringen. Wir fliegen direkt von Basel-Frankfurt nach Tokio. Und Du noch in Tokio bist können wir uns sehr gerne in der Grossstadt treffen.
In Basel nimmt alles seinen gewohnten Lauf. Erwähnenswert ist der super schöne und lange Sommer. Somit kamen viele in/an Rhein, und der WSCB hat 6 neu Mitglieder.
Ganz liebe Grüsse aus Basel
Philippe und Emi Uehlinger (-Takahashi)